Das Ägyptische Tagebuch

Die ägyptischen Tempel langweilen mich fürchterlich.

Gustave Flaubert in seinem Reisetagebuch nach einem Besuch in Abu Simbel

Umschlag der Faksimile-Ausgabe des Reisetagebuchs der Weissenhofer, der wiederentdeckten und hier erstmals abgedruckten Aufzeichnungen einer abenteuerlichen Reise, welche Carl, Keith & Bob gemeinsam unternahmen.

Freitag, den 3.4. - Das Ziel unserer Reise

Hier beginnt das Tagebuch der Ägyptenreise, die wir unternehmen, um das Sehen zu revolutionieren, uns in der Kunst der Aquarellmalerei zu vervollkommnen und in Memphis das Grab des Königs des Schunkelns und Wirbelns zu besuchen. Nachdem Carl den legendären Ort in Herders Conversations-Lexikon (1. Auflage 1854-1857) gefunden hatte, hat Keith die Reise gebucht und Bob das erforderliche Reisegepäck zusammengestellt. Zur Sicherheit haben wir unsere Ersparnisse in Goldmünzen umgetauscht, die wir im Mantelfutter eingenäht mit uns führen. Wir wollen mit dem Zug nach Marseille, dort das Schiff über Malta nach Alexandria nehmen und den Nil hinauf fahren.
Der Rauch der Lokomotive zieht trotz geschlossener Fenster in unser Abteil und brennt in den Augen. Doch mit dem inneren Auge sieht ein jeder von uns Ägypten ganz klar vor sich. Keith läßt auf seinem Reisegrammophon abwechselnd Guiseppe Verdis Aida und den opiumgetränkten Gesang der Umm Kalsum (Diesem Herzen gebührt es, zu schlagen/ Und zu brennen im Ofen der Liebe) erklingen, während Carl eingehend Hergés Les Cigares Du Pharaon studiert und Bob feinste Gizeh-Zigaretten dreht. Möge der Allmächtige unsere Reise behüten, unseren Seelen gnädig sein und uns gesund wieder in die Heimat zurückkehren lassen.

Samstag, den 4.4. - Endlich in der Schweiz

Der schweizerische Grenzbeamte prüfte die Pässe, hieß uns als Eidgenossen willkommen und konnte kaum glauben, dass wir drei Brüder sind. Carl vertraute ihm an, dass er einst als Findelkind in einem Weidenkörbchen aufgefunden wurde, so wie Moses, der in einem vergleichbaren Behältnis aus Schilfrohr am Ufer des Nils ausgesetzt worden war. Als er begann, die Weissenhoferlegende in allen Einzelheiten und Verästelungen zu erzählen, war der Beamte schon weitergezogen. In Basel hatten wir zwei Stunden Zeit zum Umsteigen, nahmen im Bahnhofslokal ein Frühstück zu uns und erreichten mit schwerem Gepäck in letzter Minute den Zug nach Genf. Nun sitzen wir im Nachtzug nach Lyon.

Sonntag, den 5.4. – Das Hotel in Marseille

Kurz vor der französischen Grenze warf Bob seine Gizehspezialmischung aus dem Fenster. Die vergeblich nach magischen Substanzen fahndenden Douaniers interessierten sich für unsere Aquarellkästen und schleckten an allen Farbnäpfen, was zu sehr reizvollen neuen Mischungen führte. Auf der weiteren Fahrt unterhielten wir uns über Synästhesie und vertrieben die Zeit mit der Anfertigung von Cadavre exquis Zeichnungen, die uns viel Vergnügen bereiteten. Am späten Vormittag kamen wir in Lyon an und nahmen den Zug, mit dem wir am Abend Marseille erreichten. Dort stiegen wir in eine kleine lustige Droschke und überließen dem Kutscher die Wahl des Hotels. Beim nächtlichen Spaziergang in der Hafengegend haben wir unser Schiff gesucht. Das Hotel ist eine Nummer für sich. Keith klagt über die durchgelegene Matratze und wegen der Flöhe ist an geruhsamen Schlaf nicht zu denken. Ich muß an unseren ersten Besuch im Zoologischen Garten und die Affen denken, die einander das Ungeziefer ablasen.

Montag, den 6.4. – Reiseverzögerung

Die Napoléon konnte erst gegen Mittag von Marseille in See stechen da sie noch Ladung aufnehmen mußte. Wir vertrieben uns den Vormittag und besuchten diverse Tavernen, um unser Französisch aufzufrischen und den Zeilen des Weissenhoferliedes gerecht zu werden: Wir sind mittags meist schon voll/ Wir machen Kunst und Rock’n Roll. Wir konnten den an uns gerichteten Erwartungen entsprechen und erreichten mit Mühe das Schiff. Die Napoléon fuhr los. Der Magen rebellierte und rebelliert immer noch. 

Mittwoch, den 9.4. - Malta

Stürmische See. Heute, am vierten Tag unserer Schiffsfahrt, sahen wir endlich die Klippen von Malta. Das Schiff machte eine kurze Zwischenstation. Wir verzichteten auf Besichtigungen und waren froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben bevor es weiterging.

Donnerstag, den 10.4. – Alexandria

Als wir in Alexandria ägyptischen Boden betraten, wollten wir dankbar niederfallen, doch mussten wir uns der zahlreichen Führer erwehren, die sich uns aufdrängten. Alexandria ist halb europäisch, halb afrikanisch und das Klima mild und gut verträglich. Die Festung Quait Bey, die Katakombengräber, die Pompejus-Säule, der Muntaza-Palast – wir schauten uns alles an. Die berühmte Bibliothek von Alexandria war leider schon vor geraumer Zeit abgebrannt.
Nach dem Besuch der Abendmesse lud uns der Papst von Alexandria und Patriarch von Afrika, der einige Semester in Fribourg studiert hatte, zu Hammelfleisch und Bohnen ein. Auf sein Drängen mussten wir die ganze Weissenhoferlegende inklusive unserer Kindheit im Wallistal ausbreiten. Im Gegenzug erzählte er die Legende der Heiligen Maria von Ägypten, die, nachdem sie lange Jahre in Alexandria als Dirne gelebt hatte, auch die Pilgerfahrt nach Jerusalem bargeldlos bezahlte. Eine unsichtbare Macht hielt sie zurück als sie die Kirche betreten und das heilige Kreuz anbeten wollte. Da erkannte sie ihr unkeusches Leben, gelobte der Jungfrau Maria Buße und konnte eintreten. Mit den drei Münzen, die ihr ein Unbekannter schenkte, kaufte sie drei Brote, von denen sie sich siebenundvierzig Jahre in der Wüste ernährte. Die mürben Kleider waren ihr lange schon vom Leibe gefallen als ihr der Abt Zosimas begegnete, den sie bat, er möge ihr am kommenden Osterfest die Kommunion spenden. Als er nach einem Jahr wieder kam, machte Maria ein Kreuzzeichen, schritt über das Wasser des Jordans, empfing die Hostie, bekreuzigte sich wieder, ging zurück über das Wasser und verschwand. Beim nächsten Osterfest aber fand Zosimas sie leblos und neben ihr im Sand eine Schrift, die ihm gebot, sie zu begraben. Ein Löwe kam ihm zur Hilfe und grub mit seinen Tatzen das Grab der Heiligen.
Als der Papst die Erzählung beendet hatte, tranken wir noch einige Raki, sangen zusammen Schweizer Volksweisen und kehrten bei Tagesanbruch in unser Hotel zurück.

Karfreitag, den 11.4. - Mata Hari

Wir begannen den Tag recht langsam. Wo bekommt man im Morgenland Rollmöpse her? Beim Schlendern durch die Stadt entdeckte Carl in einem Laden das Bildnis der heiligen Maria von Ägypten, die als Patronin der reumütigen Sünderinnen von nun an unsere Reise begleiten soll. Für den Abend hatten wir Karten für den Auftritt der Mata Hari in der Bar du Crocodile. Am Nachbartisch hatten sich ein gewisser General Rommel und ein Marxist namens Fuchs niedergelassen. Außer Wüsten- und Sittenfuchs, die sich vergnügt zuprosteten, waren ausnahmslos schnauzbärtige, Monokel tragende Briten im Publikum, die unentwegt Notizen machten. Nach einigen belanglosen Varieténummern betrat endlich die Künstlerin im Kleopatrakostüm und begleitet von zwei Geparden die Bühne. Sechs untersetzte Eunuchen wedelten mit enormen Straußenfederfächern. Als der altägyptische Schleiertanz zur Musik von Rimski-Korsakow zunehmend ekstatischer wurde, entledigte sie sich nach und nach der hinderlichen Kleidungsstücke. Begeistert applaudierten wir. Frau Hari, die wir später zu einem Drink einluden, schien sich gut mit Geheimschriften auszukennen und sprach voll Bewunderung von der Dechiffrierung der Hieroglyphen des Rosettasteins durch Jean-François Champollion. Einer der Eunuchen flüsterte ihr etwas ins Ohr, sie wurde bleich und verließ fluchtartig das Lokal. Bei der Rückkehr ins Hotel überreichte man uns einen Brief, in dem sie uns bittet, dem deutschen Konsul das beigefügte Papyrusfragment zu übergeben. Das werden wir morgen erledigen.

Samstag, den 12.4. - Die Flucht

Wir sprachen beim deutschen Konsul vor, der uns trotz der Ostertage unverzüglich zu sich kommen ließ. Er nahm den Papyrus, machte ein ernstes Gesicht und riet uns, unverzüglich die Stadt zu verlassen. Unter diplomatischem Schutz wurden wir zur Canja, unserem Hausboot, gebracht während Lakaien unser Gepäck im Hotel abholten. Die Reise beginnt spannend zu werden.

Ostersonntag, den 13.4. - Auf dem Nil

Es ist Ostersonntag und das Bildnis der heiligen Büßerin, das wir am Segelmast befestigt haben, blickt uns an. Carl und Bob haben doch tatsächlich Ostereier bemalt, mit denen sie das Boot dekorierten. Die Nillandschaft ist wunderbar. Palmen säumen das fruchtbare Ufer und wir sehen zahlreiche Reiher und Störche. Das Wasser ist gelb gefärbt von der Erde, die der Strom mit sich führt. Im 9. Jahrhundert waren es arabische Krauthändler, die durch Destillation eine geistige Essenz gewannen, die sie alkohol nannten. Wir aquarellieren und Bob öffnet von Zeit zu Zeit eine neue Flasche, die wir auf das Wohl des Dichters Hafes leeren, der im 14. Jahrhundert das Gleiche empfahl.
Ich bin so fromm, ich bin so rein;/ Bald ist das höchste Ziel erklettert. –/Doch o wie schön, ein Mensch zu sein!/ Drum, Freunde, sagt, wo ist der Wein,/ Der fromme Seelen niederschmettert?

Ostermontag, den 14.4. - Kairo

Al-Kahira, die Siegreiche, nennen die Einheimischen die Hauptstadt Ägyptens. Bei der Ankunft waren wir überwältigt. Esel, Handkarren, Fußgänger, Reiter auf Pferden und Dromedaren schieben sich chaotisch durch die engen Gassen, die uns glauben lassen, dass sich die einander gegenüber liegenden Fassaden berühren. Vorfahrtsregeln gibt es nicht und Recht hat, wer zuerst fährt. Zahlreiche weiße Minarette bestimmen die Silhouette Kairos und die imposante Hauptkuppel der Mohammed-Ali-Moschee ist nicht zu übersehen. Die Sonne ist von ungeheurer Kraft, die Stadt ein Teppich abstrakter Farbflächen. Wir spürten sofort, dass wir hier gut arbeiten können. Ein pockennarbiger Bettler hielt uns seine verkrüppelte Hand hin und rief „bakschisch, bakschisch“. Auf dem Balkon eines mittelalterlichen Hauses erschien für kurze Zeit eine fast vollständig verhüllte Gestalt, deren junges Gesicht wir nur für einen Augenblick sahen. Schwarze Augen, die mit Antimon stark verlängert waren, ein roter, geschwungener Mund. Wir sind im Morgenland und Scheherazade gibt es nicht nur im Märchen.

Dienstag, den 15.4. - Ein Besuch auf dem Bazar Khan-el-Khalili

Wir besuchten den Bazar Khan-el-Khalili und erlebten ein singendes Stimmengewirr, ein Kaleidoskop der prächtigsten Farben, eine betäubende Geruchsmischung aus Kaffee, Sandelholz und zahlreichen Gewürzen. Safran, Zimt, Myrrhe und Moschus, Zimt, Opium, Henna, Straußenfedern, damastene Kleidung, Messinggefäße, von fleißigen Kinderhänden geknüpfte Teppiche, kunstvoll verzierte Waffen, pikante Bilder und Zigaretten werden hier angeboten. Händler, Bettler, Blinde und Freudenmädchen bestimmen das Bild. Ein zahnloser Alter, der auf seiner Oud spielte und dem wir eine Münze zuwarfen, wünschte uns den Segen Allahs. Wir lauschten einem Geschichtenerzähler ohne ein Wort zu verstehen. Keith feilschte um eine Korallenkette mit einem goldenen Skarabäus-Amulett, die sich als plumpe Fälschung herausstellte. Bob kaufte Lapislazuli von hervorragender Qualität und Gummi arabicum um eine wundervoll leuchtende Aquarellfarbe herzustellen. Carl hatte wie immer das Skizzenbuch dabei und hielt alles fest. Seit seiner Ankunft in Ägypten ist er in einem Schaffensrausch und füllt ein Buch nach dem anderen. Allein heute sind es mehr als 50 Zeichnungen. Im El Fishawy aßen wir Datteln, tranken Tee und zeigten uns gegenseitig die Schätze, die wir erworben hatten. War das dort etwa Hemingway, der, in dichten Tabakqualm gehüllt, mit stakkatoartigen Anschlägen seine Remington-Reiseschreibmaschine malträtierte? Wir besuchten die koptische Kirche des alten Kairo mit der Krypta der Jungfrau. Hier soll sie mit ihrem Kind auf der Flucht nach Ägypten ausgeruht haben. Wir sind auch müde.

Mittwoch, den 16.4. - Ornament ist kein Verbrechen

Für uns ist es eine Reise in das Land des Lichts und der Farbe. Wir zeichnen und aquarellieren Kamele, Turbanträger, die Basare und die engen Gassen der orientalischen Stadt. Unsere Blätter werden dekorativer, erzählerischer  und überwinden zunehmend die Sklaverei der akademisch-konzeptionellen Kunst. Ornament ist kein Verbrechen. Schönheit ist unser Ziel. Und die läßt sich auf den verschiedensten Wegen erreichen. Linie, Farbe, Fläche, verschiedenste Materialien und Fundstücke bilden die Klaviatur, auf der wir spielen. Kein Ding ist nebensächlich und in jedem Winkel läßt sich wahre Poesie entdecken. Wir sind wie berauscht. In nur wenigen Tagen haben wir enorme Fortschritte gemacht, begeistern und beeinflussen uns gegenseitig. Friedrich Schlegel hatte recht: Eine Hieroglyphe, ein göttliches Sinnbild soll jedes wahrhaft so zu nennende Gemälde sein.

Donnerstag, den 17.4. - Marika Röck

Nach einem ausgedehnten Frühstück ging es frisch ans Werk und wir haben etliche Blätter mit den schönsten Szenen gefüllt, die hier so zahlreich zu finden sind. Auch die Armut hat ihre malerischen Seiten. Zum Diner waren wir bei dem ungarischen Architekten Eduard Röck und seiner Gemahlin Maria Karoline Charlotte geladen. Nach dem Genuß einer ausgezeichneten ungarischen Stopfleber unterhielt uns Marika, die kleine Tochter, mit Gesangsproben aus der Csárdásfürstin. Wir applaudierten fleißig, gratulierten den stolzen Eltern und sagten der Tochter eine große Zukunft voraus. Bevor sie ihren Vortrag fortsetzen konnte, zogen wir uns mit dem Herrn des Hauses zu vorzüglichen Zigarren und Gesprächen über altägyptische Baukunst ins Herrenzimmer zurück. Die wunderbar gearbeitete Holzvertäfelung, die schweren weinroten Ledersessel, die erlesenen Kopien nach Werken des göttlichen Ingres (La Grande Odalisque, Le Bain Turc) und eine gut bestückte Bar fanden unsere größte Zustimmung. Wir schlugen Herrn Röck vor, für den großen Salon einen Wandfries mit unseren neuen Motiven zu malen und machten gleich ein paar Skizzen.

Freitag, den 18.4. - Pyramiden, Pythagoras, Portraits

Bei Sonnenaufgang ritten wir zu den nahe gelegenen Pyramiden von Gizeh. Im Gegenlicht der Scherenschnitt einer Karawane mit 14 Kamelen. Das Besteigen der Pyramiden war mühsam, doch wir hatten uns vorgenommen, sie mit Bindfäden und angewandter Geometrie zu vermessen. Carl ermittelte eine Höhe von 450 Fuß für die Cheops-Pyramide, Keith 203 Fuß für die Chepren-Pyramide und Bob errechnete, dass die kleinste der dreien, die Mykerinos-Pyramide, auch 203 Fuß mißt. Nur der Kopf der großen Sphinx ragt aus dem Wüstensand und es ist unvorstellbar, welch gigantischen Leib man erblicken wird, wenn man dereinst die ganze Figur freilegen sollte. Im Inneren der Cheops-Pyramide eine dicke Schicht von Fledermauskot und Unmengen dieser Tiere, die uns umkreisten und hohe Laute ausstießen. In der Königskammer fanden wir die Inschriften der Reisenden, die schon hier waren. Die Wandmalereien erzählten tolle Geschichten. Unsere besondere Aufmerksamkeit fand die Darstellung dreier Gestalten, die die Vermutung nahe legen, Vorfahren der Weissenhofer seien vor Christi Geburt in das Land der Pharaonen gereist.
Bei der Suche nach dem Ausgang stießen wir dann auf einen bleichen Franzosen von vielleicht 28 Jahren, der sich uns als Gustave F. vorstellte. Dies ist seine erste große Auslandsreise und er führt beständig Tagebuch über seine Erlebnisse und Gedanken. Er hat sein Jurastudium aufgegeben und will nun Schriftsteller werden. Als er erfuhr, dass wir Kunstmaler sind, bat er uns, sein Konterfei vor den Pyramiden zu malen, welches solchen Anklang fand, dass wir bis in die Dämmerung Bildnisse der hier vorbei kommenden Reisenden anfertigen mussten. Die seelenlose Daguerrotypie wird wohl nie die Portraitmalerei ersetzen können. Völlig ermattet begaben wir uns in unserem Zelt zur Ruhe und haben für alle Fälle die Vorderlader griffbereit. Die Schakale bellen und wir sagen uns gute Nacht.

Samstag, den 19.4. Das Grab ist leer, der Held erwacht

Die verdammten Schakale haben unsere Vorräte aufgefressen. Hungrig und übellaunig bestiegen wir das Schiff. Ein kräftiger Nordwind blähte die Segel und schon bald kamen wir in Memphis an, wo wir das Grab des Königs des Schunkelns und Wirbelns suchen wollten.
Doch Memphis ist eine Enttäuschung - alles kaputt, Sand, Steine, Ruinen. Im recht baufälligen Isis-Tempel erwachte, von unserem Eintreten gestört, unter einem Haufen alter Decken eine verwahrloste Gestalt. Ein schwammiger, schwitzender Alter mit ausgeprägtem Backenbart kam uns wiegenden Schrittes entgegen. Das weiße Haar glänzte fettig und endete in einer verklebten Locke auf der Stirn.
Wir fragten ihn nach dem Grab, das wir suchten und er erklärte uns grinsend „Sorry, boys, not Memphis in Egypt but Memphis Tennessee.“
Der merkwürdige Alte, der so plötzlich verschwand wie er aufgetaucht war, kam uns irgendwie vertraut vor. Am Abend zeichnete Keith den Fremden aus der Erinnerung und als wir das Blatt in Ruhe betrachteten, waren wir uns einig. Das Grab in Memphis Tennessee ist ein Kenotaph und der König lebt hier. Halleluja.

Sonntag, den 20.4. Jam Session im Ramses Club

Gegen Mittag ein Sandsturm wie Schmirgelpapier. An Zeichnen war nicht mehr zu denken. Wir konnten nichts sehen und verloren die Orientierung. Auch die Kamele litten. Sand, überall Sand, er knirschte zwischen den Zähnen, er drang in unsere Blechdosen und verdarb die Vorräte, die wir uns nach dem Vorfall mit den Schakalen wieder zugelegt hatten.
Am Abend traten Sam the Sham & the Pharaohs im Ramses Club auf. Famose Musiker in wundersamen Kostümen. Bei dem Song Wooly Bully mussten wir einfach auf die Bühne und mitspielen. Ein Glück, dass wir unsere Instrumente dabei hatten. Als wir mit Sam unser Lied  Das geht mir alles viel zu schnell anstimmten, waren die Zuhörer nicht mehr zu halten. Die meisten verliessen das Lokal. Doch störte das weder Sam noch uns, denn nicht die Quantität, sondern einzig die Qualität des Publikums ist entscheidend. Von dieser Jam Session wird Memphis noch in fünfzig Jahren sprechen.

Montag, den 21.4. Fahrt auf dem Nil nach Theben

Von Memphis aus ging es weiter auf dem Nil. Das nächste Ziel war Theben, das heutige Luxor. Am Ufer bemerkten wir ein schläfriges Krokodil. Bald entdecken mir immer mehr Krokodile, die lautlos ins Wasser glitten. Von unserer Canja aus sahen wir Sul, El Feshn, Beni-Hussein, Sawadah, Achmin, Hamaneh, Deschna und Karnak bevor wir in Luxor ankamen.

Dienstag, den 22.4. Carter braucht Zuspruch

Als wir im Teehaus an unserer Shisha zogen, wehte Opiumduft herüber. Wir bemerkten einen elegant gekleideten Herrn, den wir auf Ende vierzig schätzten. Schlank, von der Sonne gebräunt, gepfleger Schnauzbart, Monokel, kamelfarbener Anzug mit Weste, gestreiftes Einstecktuch mit gesticktem Monogramm. Ein seidener Querbinder zierte seinen Hemdkragen. Wir kamen ins Gespräch und er stellte sich uns als Howard Carter vor. Er ist Archäologe und sucht schon seit Jahren im Tal der Könige nach dem legendären Grab des Tutanchamun. Wir berichteten, dass auch wir nach Ägypten gereist waren, um die letze Ruhestätte eines Königs zu suchen und zu unserer Verwunderung nicht das Grab sondern den Totgeglaubten selber fanden. Bisher waren die Grabungen, die Carter unterstützt von seinem Assistenten Arthur C. Mace durchführte, ergebnislos. Nichts außer ein paar unansehnlichen Dörrleichen. Ohne seinen großzügigen Geldgeber, Lord Herbert Carnarvon, den er für seine Idee hatte gewinnen können und der Jahr für Jahr mehrere tausend britische Pfund in den Sand setzte, hätte er sein Ziel nicht verfolgen können. Doch das britische Pfund ist in letzter Zeit in eine Talfahrt geraten und der fünfte Earl of Carnarvon denkt nun an eine Beendigung der Suche. Carter jedoch ist fest entschlossen weiter zu graben - und sei es auf eigene Kosten. Wir sprachen ihm Mut zu und betonten, dass er auf keinen Fall aufgeben dürfe. Die Weissenhofer kennen solche Durststrecken. Da heißt es durchhalten und unbeirrt weitermachen. Howard Carter lud uns ein, ihn am nächsten Tag an der Grabungsstätte zu besuchen.

Mittwoch, den 23.4. Bob entdeckt altes Gerümpel

Nach dem Frühstück ritten wir ins Tal der Könige. Die Sonne brannte und die Hitze war unerträglich. Einen Dromedarkadaver am Wegesrand hatten die Ratten so kunstvoll ausgenagt, dass nur das Fell über dem Knochengerüst zurückgeblieben war. Carter empfing uns freudig und erläuterte seine Ausgrabungen.
Bisher waren etliche Pharaonengräber freigelegt worden, doch das Grab des Tutanchamun war nicht zu finden. Während wir ihm interessiert lauschten, zog Bob es vor, sich umzusehen um einen schattigen Ort für eine Siesta zu suchen. Am Fuße des Ramses-Mausoleums legte eine Windböe plötzlich einige Treppenstufen frei und gewährte ihm Zugang in ein unterirdisches Gangsystem.
Nachdem Bob einige morsche Türen geöffnet hatte, fand er in einer Kammer voller Gerümpel ein geeignetes Plätzchen. Er störte sich nicht an dem Durcheinander von allerlei Hockern, Truhen und großen hölzernen Raubtierfiguren um ihn herum. Als er ausgeruht war, entdeckte er in der nächsten Kammer ähnliche Antiquitäten, zahlreiche Figuren, Mischwesen aus Mensch und Tier, das Holzmodell eines Bootes, einen mit Schnitzereien und Goldpapier dekorierten Sessel. In einer großen Truhe mit unleserlichen Schriftzeichen endlich etwas Brauchbares: Schmuck, ein Armband mit der Darstellung eines großen Käfers und eine Alabasterflasche. In einem Winkel eine längliche Kiste, die ein goldenes Gesicht mit starrem Blick, grünem Knebelbart und einer Kopfbedeckung aus Gold und Lapislazuli frei gab. Auf der Stirn die Köpfe eines Geiers und einer Schlange.

Donnerstag, den 24.4. Keith hat Fieberträume

Die Sonne war zu viel für ihn. Keith hat einen gehörigen Sonnenstich bekommen und phantasierte schweißgebadet in wilden Fieberträumen: Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler. Er schien völlig von Sinnen und wir suchten einen Arzt. Mohammed winkte ab. Er brachte ein Heilmittel, das auch als Aphrodisiakum Verwendung findet - ein Glas mit dunklem Pulver und der Aufschrift mumia. In Nicholas Lemery, „Vollständiges Materialien-Lexikon“, Leipzig 1721 heißt es:
Die Mumie soll man erwehlen, welche rein und schöne ist, schwartz und gläntzend, von ziemlich starcken, nicht unangenehmen Geruch. Es wird auf chymische Weise viel Oel und flüchtig Saltz draus destilliret. Sie reiniget, dient zu den Wunden, zertheilet, widerstehet dem kalten Brande, stärcket, ist gut zu Quetschungen und wehret, daß das Blut im Leibe nicht gerinnen kann.

Freitag, den 25.4. Die Früchte der Reise

Keith ist geheilt und erinnert sich nicht an den gestrigen Tag. Morgen werden wir die Rückreise antreten. Carter ist so dankbar und hat uns überreich beschenkt. Wir haben viel gesehen, einiges über die Schönheit gelernt und werden stapelweise Aquarelle und Zeichnungen nach Hause mitbringen. In der Ferne wartet man auf die Früchte unserer Reise. Wenn man einst von unserer Ägyptenreise sprechen wird, wird jeder wissen was gemeint ist und die Bilder vor Augen haben, die in diesen glücklichen Tagen entstanden. Sie werden vielleicht Kalender zieren oder als Kunstdrucke Krankenhausflure verschönern und diese Welt ein bisschen besser und erträglicher machen. Doch was interessiert uns die Mit- oder Nachwelt? Diese Reise hat uns einander näher gebracht. Künstlergruppen kommen und gehen, doch wir sind Brüder und werden es immer bleiben.